Foto: Joachim Blobel
Rüdiger Giebler zur Eröffnung der Ausstellung „4. April `69“
DamenundHerrenichbegrüßeSie…
im Bildersaal des allesfressenden melancholischen Impressionismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts,
+ eine neue Weiblichkeit = Kittelschürzen von Gustav Klimt, Gemüsebeete von Pierre Bonnard und die Hollywoodschaukeln von David Hockney, und jetzt malen endlich die Frauen zurück & das ist richtig so:
Alles andere ist verbraucht und schlimmer noch, moralisch diskreditiert: immerhin hat die neueste kunsttheoretische Feldforschung festgestellt,
daß der Expressionismus eine Freizeitbeschäftigung von Päderasten war, von den maßgeblich Verantwortlichen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges,
daß die Neue Sachlichkeit so richtig eigentlich nur Albert Speer gefallen hat,
daß konkrete Kunst es preiswerter in der Sanitärfliesenabteilung auf dem Baumarkt gibt,
daß Pop-Art nicht mehr funktioniert, weil es die jetzt schon umsonst als Anwendungsprogramm für die Bildverarbeitung auf tragbaren Telephonen gibt und
daß Land-Art alle schon so oft in der Projektwoche gehabt haben, daß es jetzt reicht.
Deswegen wenden wir uns nun den KINDHEITsmustern von Christine Bergmann zu. Sie sehen ein neoimpressionistisches Photoalbum in Pasteltönen. Christine Bergmann hat der deutschen Kunstgeschichte eine neue Kategorie hinzugefügt: Christine Bergmann hat den autobiographisch eingefärbten Impressionismus-Blues erfunden. Gemalte Impression, Erinnerungspartikel, Staub in Spektralfarben. Christine Bergmann illustriert den kollektiven Kindheitsroman. Frauen erinnern sich an Flucht und Vertreibung, Zusammenbruch und Katastrophe – für die Generation der nach dem 4. April 1969 Geborenen ist dann der, in sommerlicher Hitze der siebziger Jahre flimmernde Weg am Rand der Eigenheimsiedlung, der Garten hinter der Doppelhaushälfte, die Küche der Großmutter und der Streichelzoo in der Kreisstadt die verlorene Heimat, das neue Ostpreußen. Zwei Generationen von Vertriebenen begegnen sich in Großmutter und Enkeltochter, ein Generationenvertrag, die Idylle ist ein zarter dünner Film. Jede Generation hat ihr eigenes Trauma. Man erinnert beim Anblick der Bilder sogar die Gerüche einer behüteten Kindheit, scharf und süßlich und beißende Säure und mufflich verstockt, und der Geruch des auf immer Verlohrenen: Bohnerwachs, Kohl, Rhabarber, Achselschweiß, Milch und nasse Wolle.
„Das also ist der Lauf der Welt und der Weg allen Lebens“ sagt sich das Kleinkind, als es eine und noch eine und noch eine und noch eine Ameise mit seinem Stöckchen zerquetscht und versucht die kleinen Leiber in ihre Segmente sauber zu zerlegen und die anderen Ameisen machen nur einen kleinen Bogen um den Schlachtplatz und gehen weiter auf ihrer Ameisenstraße, die eine Hälfte in die eine Richtung und die andere in die andere Richtung und Omi fragt: “Spielst du schön?“ und guckt ob sich das Kind nicht schmutzig macht und das Kind will fliehen und steigt auf sein Dreirad und fällt gleich wieder runter und wo? ist eigentlich Mutti.
Unschuld und Pudelmützen und die im Schritt kneifenden gestrickten Höschen und die engen scheuernden Lederhosen – ein Schmerz als Versprechen, daß da später doch noch was kommt.
Die Bilder:
Mittlerweile malen wieder viele, weil sie die Malerei davor bewahren wollen, selbst verlustig zu gehen, in einer Welt industriell hergestellter, gespeicherter, transportierter und verarbeiteter Bilder und weil sie ihre Erinnerungen davor bewahren wollen verlustig zu gehen, in einer Welt industriell hergestellter, gespeicherter, transportierter und verarbeiteter Erinnerungen.
Gemalte Bilder können nicht gelöscht werden und die Würmer, die jetzt überall sind, die man überall kriegen kann, wenn man sich bloß was anguckt, und die immer alles angreifen, kommen an die Bilder nicht ran und nicht rein.
Gemalte Bilder sind sperrige Unikate und die Möglichkeit der absoluten Individualität, die in einem Augenblick die Welt einfangen können.
Das ist Malerei um einen Verlust zu kompensieren, verlorene Erinnerungen, Stimmungen, Träume – die eigenen und die des Publikums.
Bilder sind Gartenarbeit, gerade solche wie die von Christine Bergmann, die mit Transparenz, Verläufen, Fehlfarben, flirrender Materie, Farbflecken, Schattenspielen, kleinen schwebenden Teilchen – wie Blütenblätter, ein Lichtspieltheater auf der Erinnerungsnetzhaut erzeugen.
Christine Bergmann bleibt dabei nah am Photo. Die Menschen früher fühlten sich beobachtet, deswegen gaben sie sich immer Mühe, egal was sie machten: Blumen pflücken, Blumen gießen, auf der Schaukel sitzen, am Zaun stehen und kontrollieren, daß nix passiert. Und sie machten das alles mit Haltung und nur bei greller Beleuchtungen, Photoapparate funktionierten immer nur am frühen Nachmittag. Daher die Überblendung, wenn die Mittagssonne mal weg ist, wird es kritisch mit der Erinnerung. Solche Malerei fängt das Paradoxe ein, im Unverständlichen fremder Biographien finden sich eigene Erinnerungen.
Die Kittelschürze ist lebendiger IMPRESSIONISMUS als Kunstfaser.
Es ist die Schutzkleidung einer Generation von Frauen, die mit dem Wischlappen in der Hand den Weltenbrand stoppen wollten.
Dieses Kleidungsstück ist eine feminine Camouflage und gleichzeitig die mit Stolz getragene Parodie eines Kleidungsstückes. Gewebte Selbstironie einer ironiefreien Generation, die den eigenen gequälten, alternden, abgenutzten, abgearbeiteten Leib in einen KörperPanzer mit Blümchenmuster, in eine schützende blühende Hülle steckten. Verwirrenden Muster schützen vor den Vergewaltigern in Uniform. Ein Panzer gegen alle Anfechtungen, die Mustervorlagen stammen tatsächlich von Gustav Klimt. Die Kittelschürze hat das Bild einer Generation geprägt, die immer alles richtig gemacht hat und doch keine Katastrophe verhindern konnte.
Frau Bergmann, bitte übernehmen Sie !